Große Dankbarkeit und der Wunsch nach schneller Heimkehr

1.4.2022 Kaufbeuren. Unter dem Vorzeichen, dass die Stadt Kaufbeuren zur Unterbringung geflüchteter Menschen aus der Ukraine weiteren Wohnraum benötigt, führte der Pressesprecher der Stadtverwaltung, Tobias Müller, ein Interview mit zwei Familien, die seit kurzem unter einem Dach leben.

Die Hilfsbereitschaft der Kaufbeurer Bürgerinnen und Bürger ist hoch. Die Stadtverwaltung konnte bereits über 150 Kriegsflüchtlinge in Gastfamilien vermitteln. Die Gastfamilien hatten sich zuvor bei der Stadtverwaltung gemeldet. Einige Angebote zur Aufnahme von Geflüchteten liegen der Stadtverwaltung noch vor, wenn der Krieg in der Ukraine noch länger dauert, dann werden weitere Gastfamilien gesucht.

Wenn Sie Gastfamilie werden möchten oder Wohnraum anbieten können: anlaufstelle-ukraine@kaufbeuren.de

Interview mit Familie Geister und Familie Lushnykova:

Frau Lushnykova, zunächst darf ich Sie herzlich willkommen heißen in Kaufbeuren. Erzählen Sie doch, seit wann sind Sie in Kaufbeuren und wie ist der erste Eindruck?

Yuliya Lushnykova: Wir sind seit drei Wochen in Kaufbeuren, zuerst ein paar Tage bei meiner Schwester, die hier lebt und nun seit zwei Wochen bei Familie Geister. Durch meine Schwester war das natürlich auch kein Zufall, dass wir nach Kaufbeuren gekommen sind. Und ohne diesen Kontakt hätte ich mir eine Flucht mit den beiden Kindern und meiner Schwiegermama nicht vorstellen können. Man muss sich vorstellen, wir konnten dort nicht mehr leben, weil ständig die Warnsirenen angingen, wir aus der 8. Etage nach unten mussten und dann in einen Luftschutzbunker gingen. Das ist gerade den Kindern nicht mehr zuzumuten gewesen.

Mit unserer Gastfamilie haben wir uns von Beginn an super verstanden und haben uns direkt willkommen gefühlt. Das war gerade in den ersten Tagen sehr schön zu erleben.

Sie sind mit ihren beiden Kindern Lisa und Vlad nun hier bei Familie Geister untergebracht worden. Wie laufen die ersten Tage in einem zunächst völlig fremden Land ab?

Es gab für ein paar Tage eben die Situation, dass wir bei meiner Schwester leben konnten. Das hat uns eine gewisse Sicherheit gegeben und half sich hier in Kaufbeuren zu orientieren. Wir sind es aber von zuhause aus gewohnt, dass wir uns an diese neue Situation möglichst schnell anpassen möchten.

Wie verständigen Sie sich?

Thomas Geister: Wir sprechen ein paar Worte Englisch und zusätzlich hilft uns der Google-Übersetzer sehr viel weiter. Ansonsten geht es wirklich nur um die Gestik und viele Dinge ergeben sich einfach von allein. Aber ohne Smartphone wären wir echt aufgeschmissen, man muss sich da allerdings immer etwas kurzhalten und sich fragen, was möchte ich konkret wissen? Leider kommen dabei aber keine längeren Gespräche heraus. Dafür ist es dann doch zu umständlich. Aber kurz, knapp und prägnant funktioniert wirklich hervorragend.

Barbara Geister ergänzt: Und es kommt auch zu wirklich witzigen Missverständnissen: Yuliya wollte letztens wissen, wie sie mit dem Müll umgehen soll. Aber irgendwie hat der Google-Übersetzer dann „Müll“ mit „Ehemann“ übersetzt. Dann kam also raus, „Wie gehe ich mit dem Ehemann um?“. Und wir mussten alle sofort lachen. Unsere Gäste dachten aber natürlich wir amüsieren uns wegen dem Müll.

Anmerkung:
Die Übersetzerin Vita Schmidt konnte dann Yuliya und Nadiya den eigentlichen Witz an der Sache erklären. Alle haben daraufhin herzlich lachen können.

An die Gastfamilie Geister gerichtet: Wie haben Sie innerhalb Ihrer Familie den Entschluss getroffen, ja wir nehmen hier ukrainische Flüchtlinge auf?

Thomas Geister: Das war im Prinzip eine sehr einfache Entscheidung, unsere Kinder sind mittlerweile alle aus dem Haus. Das heißt, wir haben einige freie Zimmer. Eines davon haben wir zufälligerweise eh um Weihnachten renoviert und dann haben wir eben noch ein zweites hergerichtet. Das ging also ganz schnell. Wir sind aber auch von unseren Eltern geprägt worden.

Barbara Geister: Genau, während dem Jugoslawien-Krieg, haben seine und meine Eltern jeweils Flüchtlinge aufgenommen. Und da gibt es auch heute noch Kontakt

Wie lief das dann anschließend ab von der Entschlussfassung, bis sie Frau Lushnykova und ihre Kinder wirklich kennengelernt haben?

Thomas Geister: Wir haben diesen Zeitungsartikel gelesen, dass eben Wohnungen und Räumlichkeiten gesucht werden. Dann haben wir eine E-Mail an die Adresse Anlaufstelle-Ukraine@Kaufbeuren.de geschrieben. Anschließend gab es einen Rückruf, wie man sich das vorstellen könnte und wie schnell man jemanden aufnehmen könnte. Und dann kam an diesem Dienstag die Nachricht, die Stadt hätte jemanden gefunden und ob man ab Mittwoch dann diese Familie aufnehmen kann.

Barbara Geister: Es wurde von Seiten der Stadt Kaufbeuren mehrfach gefragt, ob wir uns das auch wirklich vorstellen können. Ebenfalls gab es die Nachfrage nach der Dauer, da haben wir uns erstmal nicht festgelegt. Die Familie Lushnykova kann solange bleiben wie sie das möchte. Außerdem hatten wir auch zu jedem Zeitpunkt kompetente Ansprechpartner von der Stadt, an die wir uns wenden konnten. Und wir hätten auch jederzeit unser Angebot zurückziehen können, wenn uns Zweifel gekommen wären.

Yuliya Lushnykova: Wir haben in der Ukraine auch am Stadtrand gelebt und deshalb ist das hier von der Wohnsituation sehr ähnlich. Man ist schnell draußen im Grünen und die Umstellung ist daher nicht so groß wie in einer Großstadt.

Wie kann man sich die ersten Tage vorstellen, Sie nehmen sicherlich für Frau Lushnykova eine ausgeprägte Patenrolle für Alltagsfragen ein?

Thomas Geister: Einerseits schon, andererseits waren sie auch schon eine Woche in Kaufbeuren bei ihrer Schwester und ihrem Schwager. Die ersten Schritte haben sie also schon gemacht. Für uns war das völlig unproblematisch auf dem aufzubauen.

Es gab auch direkt ein paar Gemeinsamkeiten, die zusätzlich dazu beigetragen haben. Beispielsweise hing von unserer Tochter Lisa noch das Namensschild an der Kinderzimmertüre und das Mädchen heißt zufälligerweise auch Lisa. Außerdem haben unser Hund und der von Nadiya ganz ähnliche Namen. Das sind zwar Kleinigkeiten, aber das zeigt doch eine gewisse Verbundenheit.

Barbara Geister: Man muss auch sagen, Yuliya ist da sehr eigenständig. Ich wollte sie gestern mit dem Auto mit in die Stadt nehmen, aber sie meinte daraufhin, dass sie mit dem Bus fahren möchte. Sie kannte sich schon bestens mit den Bushaltestellen und den Fahrplänen aus – besser als ich.

Yuliya Lushnykova: Wir sind das von zuhause auch gewohnt, dass wir uns um den Wocheneinkauf und zusätzlich kleinere Erledigungen unter der Woche kümmern. Die Hauptsache ist ein Dach über dem Kopf und den Rest versuchen wir so eigenständig wie möglich zu erledigen. Wir wollen einfach keine Umstände machen.

Barbara Geister: Wir nehmen uns natürlich die Zeit, wenn sie Fragen haben, aber das macht uns überhaupt nichts aus. Und das ist auch unkompliziert. Wir versuchen auch immer klar zu machen, dass sie alles im Haus einfach benutzen können und nicht immer zu fragen brauchen. Das klappt aber noch nicht so ganz.

Frau Lushnykova, Ihre Kinder sind schon etwas älter, wie erleben sie die gesamte Situation im Augenblick?

Lisa Lushnykova (strahlt): Mir gefällt es hier sehr gut!

Yuliya Lushnykova: Die Kinder fühlen sich hier wirklich wohl. Die beiden haben Roller bekommen mit denen sie herumfahren, wir gehen viel spazieren und die zwei bekommen auch viel Aufmerksamkeit. Das genießen sie ganz besonders.

Barbara Geister: Wir haben auch noch viel von den alten Spielsachen, die werden aktuell nach und nach entstaubt und kommen wieder zum Einsatz. Und wir freuen uns einfach das Kinderlachen zu sehen. Unsere Tochter hat sich übrigens auch sehr gefreut, dass das Trampolin wieder im Garten steht und ist direkt eine Runde mitgesprungen. Quasi eine Win-Win-Situation.

Welche Herausforderungen gibt es bisher im Alltag?

Barbara Geister: Es gibt keine – so einfach. Die einzige Herausforderung ist, dass sie alle keine Umstände machen wollen und sich deshalb nicht so trauen. Sie sollen sich einfach hier wohlfühlen und wir sind echt glücklich so nette Menschen kennengelernt zu haben.

Was erwarten Sie sich von Ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern?

Barbara Geister: Wir erwarten nichts, das können wir auch nicht verlangen. Aber wir wünschen uns, dass die aktuelle Solidarität und Hilfsbereitschaft noch lange anhält. Es gab einige Hilfsangebote aus der Nachbarschaft, also, wenn wir da was brauchen, dann ist definitiv die Bereitschaft da uns zu helfen. Die merken natürlich auch, dass jetzt aktuell hier neue Nachbarn eingezogen sind. Ich denke, das ist hier im ländlicheren Raum doch ein großer Vorteil gegenüber den großen Städten, dass der Zusammenhalt untereinander einfach größer ist, man kennt sich schließlich.

Frau Lushnykova, was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Yuliya Lushynkova: Wir wünschen uns, dass in der Ukraine so schnell wie möglich alles wieder aufhört und wir dann zurückkehren können. Und unser Leben dann wieder so läuft, wie wir das bisher gewohnt waren. Und wir freuen uns jetzt schon, wenn Thomas und Barbara uns in der Ukraine besuchen können.

Vielen Dank für den offenen Einblick in das aktuelle Zusammenleben und für die Zukunft dann von ganzem Herzen nur das Beste!

Auf seinen Seiten „Sie wollen helfen?“ werden vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Fragen zur Unterbringung ukrainischer Geflüchteter beantwortet, die vorab für die Gastfamilien interessant sind:
https://www.bbk.bund.de/DE/Das-BBK/Zivilschutz/zivilschutz_node.html

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